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AutorenbildGeorg Senoner

Die Freiheit wiedergewinnen

Um Einschränkungen abzulegen, müssen sie erst einmal als solche erkannt werden. Systemisches Coaching und Aufstellungsarbeit sind hierfür hilfreiche Werkzeuge, mit denen Handlungsspielräume zurückerobert werden können.

Durch den Lockdown in Folge der Covid-19 Pandemie ist Nachdenken über Freiheit hochaktuell geworden. Dabei haben wir uns doch schon lange vor der Pandemie von manchem Stück Freiheit nahezu freiwillig verabschiedet. Wie der berühmte Frosch, der im langsam erhitzten Wasser stirbt, ohne reagieren zu können.


Innere Konformität mit äußeren Zwängen

In einem Seminar mit dem Top-Management der Schweizer Niederlassung eines großen multinationalen Unternehmens beschwerten sich die Teilnehmer darüber, wie viel Zeit ihnen die Zentrale mit völlig unnötigen Dingen raubt.

Die Liste all dieser überflüssigen Aktivitäten war schnell erstellt. Problematisch wurde es erst, als es darum ging, etwas auszuwählen, was sie am nächsten Tag nicht mehr machen würden. Die euphorische Stimmung schlug sofort um. "Das geht nicht!" war der einstimmige Kommentar.

Die Zwänge des Systems in einem multinationalen Unternehmen können gnadenlos sein. Obwohl die Seminarteilnehmer (ausschließlich Männer) an der Spitze der Hierarchie standen, hatten sie die Regeln des Systems so verinnerlicht, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnten, sie zu hinterfragen. Man muss allerdings dazu sagen, dass die gleichen Regeln es ihnen ermöglichten, ihren Mitarbeitern Verhaltensweisen und Ziele vorzugeben, die diese brav verfolgten, weil es angeblich „nicht anders geht".


Von der Pflicht zu den Wünschen

Viele Klient*innen klagen über den Mangel an Freiheit in ihrem Arbeitskontext. Wenn es von systemischem Denken inspiriert ist, kann Coaching ein sehr hilfreiches Instrument sein, um angemessene Freiräume (wieder)zu gewinnen.

Der Weg dorthin beginnt damit, sich die eigenen Wünsche bewusst zu machen und oft wieder neu zu entdecken. Alessandro Baricco schreibt in seinem Roman Oceano Mare(1): "... Ich habe spät verstanden, auf welche Seite ich mich stellen musste: auf die Seite der Wünsche. Man erwartet, dass andere Dinge Menschen retten: Pflicht, Ehrlichkeit, gut sein, gerecht sein. Nein. Es sind die Wünsche, die retten. Sie sind das einzig Wahre. Du bleibst ihnen treu und du wirst gerettet werden. "

Wünsche bilden sich in unserem Geist in den ersten Lebensjahren, wenn nicht Monaten und aktivieren unser Potenzial und unsere Energien. Sie sind die Quelle unseres Willens und des Vertrauens in die Selbstwirksamkeit. Es sind unsere Wünsche, die uns die Freiheit suchen lassen, die wir brauchen, um unsere einzigartigen Potenziale und Fähigkeiten zu entwickeln. Vorausgesetzt jedoch, wir erkennen sie und folgen ihnen.


Überidentifikation mit Leistung und Erfolg

Von anderen Faktoren abgelenkt, verlieren die Wünsche unbemerkt an Bedeutung. Ohne es zu wollen, nehmen wir ihnen die Chance sich zu entfalten und sich in eine klare Absicht, in bewussten Willen zu verwandeln. Besonders heimtückisch sind die Leistungs- und Erfolgskriterien der Unternehmen und Organisationen, in die wir eingebunden sind. Viele Führungspersonen assimilieren diese und identifizieren sich mit ihnen so stark, dass sie nicht mehr wahrnehmen, wie sehr nicht nur ihr Handeln, sondern auch ihr Fühlen und Denken davon bestimmt wird.

Das soll nicht heißen, dass alle Leistungs- und Erfolgskriterien von vornherein falsch oder schädlich sind. Problematisch wird es, wenn Führungskräfte die nötige Distanz verlieren - nicht nur um kritisch über mögliche Auswirkungen nachzudenken, sondern auch um zu prüfen, ob sie mit ihren eigenen Wünschen und Werten kompatibel sind. So schwindet langsam der Mut zu ihrer eigenverantwortlichen Interpretation.


Mit Management Constellation ein Bild der Möglichkeiten schaffen

Im Coaching können wir den Klient*innen zunächst helfen, ihre Wünsche zu benennen, um sodann

  • die Hindernisse zu erkennen, die sie überwinden müssen,

  • die Einschränkungen, die sie akzeptieren müssen,

  • die Ressourcen, die sie aktivieren müssen,

  • und den Preis, den sie zahlen müssen, um einen bewussten und kohärenten Willen zu entwickeln, der sie zu freieren Gedanken, Entscheidungen und Handlungen befähigt.

Verwenden wir dabei das Instrument der Management Constellation können die Klient*innen ihre mentalen Karten, ihre inneren Bilder der Situation, räumlich darstellen und dadurch hautnah erleben. Sie können z. B. sehen, ob ihre Wünsche mit den Zielen im Einklang stehen, welche Hindernisse der Entfaltung ihres Potenzials im Wege stehen und welche Schritte sie in eine Position führen, wo sie sich stärker, klarer, zuversichtlicher, erfüllter und - warum auch nicht - zufriedener fühlen. Gegenüber der rein verbalen Bearbeitung eines Themas hat die szenische Darstellung in einer Management Constellation den Vorteil, dass die neue Alternative viel konkreter erlebt wird und sich somit stärker einprägt. Das neue Bild, die neue Karte, steht dann im Alltag als Navigationshilfe für die Wiedergewinnung neuer Freiräume zur Verfügung.


(1) Literaturhinweis: Alessandro Baricco „Oceano Mare. Das Märchen vom Wesen des Meeres“ Piper 2004


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